güTesiegeL in gefAhr
7
Unter den acht Fraktionen im Europä-
ischen Parlament beharkten sich insbe-
sondere die EVP (bestehend aus Christde-
mokraten und Konservativen) und die S&D
(Sozialisten und Sozialdemokraten). Deren
Diskussion setzte sich natürlich auch in
den nationalen Parteien CDU und SPD fort
– mit einer kleinen Überraschung.
Eine Verpflichtung, die Herkunft zu kenn-
zeichnen, sei ein großer Schritt für mehr
Transparenz in der Produktlieferkette, und
das sei eine gute Nachricht für die Verbrau-
cher, so die linke EU-Abgeordnete Christel
Schaldemose. Markus Pieper von den Kon-
servativen hielt dagegen, dass es mehr Bü-
rokratie und Kosten nach sich ziehe. Au-
ßerdem hätte das bisherige Gütesiegel ei-
nen schweren Stand, obwohl es immerhin
„entscheidende Produktionsstufen und die
unternehmerische Verantwortung“ bein-
halte. Und Markus Ferber von der CSU so-
wie dem Parlamentskreis Mittelstand fügte
hinzu, dass eine Kennzeichnungspflicht die
Existenz vieler Mittelständler in Deutsch-
land bedrohe.
Sogar das vom SPD-Mann Sigmar Gabri-
el geführte Bundeswirtschaftsministerium
wies darauf hin, dass es eine solche Rege-
lung ablehne. Gabriel schätzte sie als Über-
bürokratisierung ein. Auf einer Pressekon-
ferenz im April 2014 sagte er weiter: „Ich
wünsche viel Freude dabei, bei einem in Ita-
lien oder Deutschland hergestellten Pkw zu
entscheiden, was als ,Made in‘ drauf steht.
Denn was drin ist, kommt zu großen Tei-
len nicht aus Italien oder Deutschland. Wer
entscheidet dann eigentlich, ab wieviel Pro-
zent Zulieferung aus dem Ausland es ein in
dem Land hergestelltes Produkt ist? Als ob
wir nichts anderes zu tun hätten.“
Der Knackpunkt jeder Definition von „Made
in Germany“ ist, ab wann man von einer
deutschen Produktion sprechen kann. Si-
cher ist es unmöglich, vom Bauxit bis zum
Lötdraht alles hierzulande zu produzieren.
Eine Überlegung war: Gemäß Zoll-Kodex
solle man als Herkunftsland dasjenige fest-
legen, in dem die letzten wesentlichen Fer-
tigungsschritte erfolgten. Stammt ein Pro-
dukt aus einem oder mehreren EU-Ländern,
könnten die Hersteller es auch als „Made in
EU“ kennzeichnen. Der unbestimmte Sinn-
gehalt von „wesentlich“ macht diese Defi-
nition allerdings nutzlos. Zuletzt nannte der
EU-Kommissar Algirdas Semeta eine harte
Zahl: Wenigstens 45 Prozent Wertschöp-
fung müsse im jeweiligen Land erfolgen.
Doch „Wertschöpfung“ meint wiederum
den wesentlichen Produktionsanteil, womit
sich die Katze in den Schwanz beißt.
Die Kontroverse trugen Befürworter und
Gegner in der Plenarsitzung des Europä-
ischen Parlaments aus. Gegen die Stim-
men der Konservativen wurde beschlos-
sen, eine exaktere Kennzeichnungspflicht
durchzusetzen. Allerdings entstand daraus
noch kein durchsetzbares Recht. Vielmehr
ging es in der Plenarsitzung nur darum, ei-
ne Entscheidung zu formulieren und später
gegenüber der EU-Kommission sowie dem
EU-Rat den entsprechenden Standpunkt
zu vertreten. Insbesondere der mächtige
Europäische Rat stellt die entscheidende
Klippe dar, an der die Idee wiederholt zer-
schellte.
Der Europäische Rat besteht aus Staats-
und Regierungschefs der 28 EU-Mitglieds-
staaten (noch mit dem Vereinigten König-
reich), dem Präsidenten des Europäischen
Rats und dem Präsident der Europäischen
Kommission. Hier gibt es die für das Gü-
tesiegel „Made in Germany“ wunderbare
Einrichtung der „Sperrminorität“. Dafür
genügen vier Mitglieder des Rats, die zu-
sammen mehr als 35 Prozent der Bevölke-
rung der Europäischen Union repräsentie-
ren. Sinn ist, die Vorherrschaft der drei be-
völkerungsreichsten Staaten Deutschland,
Frankreich und Großbritannien, die sich
auch in ihrer Stimmengewichtung nieder-
schlägt, einzuschränken.
Per Sperrminorität wird also die verpflich-
tende Herkunftskennzeichnung abgelehnt,
was von oben alle Gesetzesvorschläge ab-
schmettert. Immerhin schwächte der Vor-
stoß von 2014 die Gegner, was den bislang
blockierten Rat etwas aufweicht. In die-
sem leicht veränderten Rahmen wird weiter
verhandelt, bis eine Lösung gefunden ist –
kurz: bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
EU-Komissisionsmitglied Neven Mimica, der 2014 das Ressort „Verbraucherschutz“ un-
ter sich hatte, bei der Diskussion um „Produktsicherheit und Verbraucherschutz“.
aUfbrUCH miT SCHiffbrUCH
wo liegT die deUTSCHe grenze?